Vom 12. bis zum 27.Juni 2009 ging für mich ein langer Wunsch in Erfüllung. Es verließ in Moskau den Jaroslawler Bahnhof , der Zug nach Peking , der mich mitnahm. Das ist der Start der längsten Eisenbahnstrecke der Welt. Sie ist die Lebensader Sibiriens und verbindet Europa und Asien. Die "echte" (weil ursprüngliche) Transsibirische Eisenbahn führt eigentlich von Moskau nach Wladiwostok. Klaus und ich wählten die sogenannte Transmandschurische Strecke mit dem Ziel Tianjin/Peking. Es ist die wohl schönere und beliebtere Strecke. Fast 9000 km waren dabei in 7 Tagen zurückzulegen und 7 Zeitzonen zu durchqueren.

Man denkt in anderen Dimensionen...

Auf den folgenden 9000 Kilometern sollte ich erkennen, dass viele Vorstellungen, die ich von Sibirien hatte, wirklich auch nur Vorstellungen waren.

Doch auf dem Weg durch dieses riesige Land habe ich festgestellt, daß die Meinung, die wir Deutsche über Rußland haben, sehr durch unsere Medien geprägt ist. Sicher gibt es dort die Mafia und selbstverständlich gibt es dort arme Menschen. Doch nach ein paar Stunden in Russland fühlt man sich so sicher wie in Wien, London oder Hamburg.

Planmäßig landeten wir Mittag in der Elf-Millionen-Metropole. Am Moskauer Flughafen empfing uns unsere Kontaktperson. Bevor es zum Bahnhof ging, zeigte er uns noch Moskau.

Ist man in Moskau angekommen, wird man sofort für all die Flug-Strapazen belohnt.

Moskau ist einfach eine Stadt der Superlative. Alles ist irgendwie größer und gewaltiger als irgendwo anders. Kein Wunder, denn Platz hat man ja in Russland genug. Nur auf dem "Roten Platz" alleine fühlt man sich umzingelt von beeindruckenden Gebäuden und ehrwürdigen Denkmälern. Man sieht die Basilius-Kathedrale, das Kaufhaus GUM und das Lenin-Mausoleum. Von dort gehen sechsspurige (wohlgemerkt für eine Richtung) Straßen zum Jaroslawler Bahnhof, welcher der Beginn der Transsibirischen Eisenbahn ist.

 

Natürlich hat Moskau weitaus mehr zu bieten, aber auf uns wartete ja ein Erlebnis der besonderen Art.

 

Am späten Abend begann unsere eigentliche Tour.

Ausgangspunkt war der Jaroslawer Bahnhof in Moskau. Eine halbe Stunde vor Abfahrt kann man beobachten, wie der 500 m lange Zug in den Bahnhof einfährt.

 

Am Bahnsteig des Jaroslaw - Bahnhofes in Moskau drängten sich die Menschen, alle wollten mit auf die große Reise.

Gepäckstücke, alle aus dem gleich aussehenden karierten, in blau gehaltenen Stoff türmten sich in fünfzehn Meter Abständen. Polizisten schritten den Bahnsteig ab. Über knisternde Lautsprecher wurde unser Zug angekündigt.

Das Einsteigen gestaltete sich dann als Herausforderung: Man stelle sich eine riesige Traube Menschen vor, die mit lautem Geschrei alle gleichzeitig einen Zug besteigen wollen und dabei jeweils sackkarrenweise Kisten und Säcke mitnehmen möchten - und auf der Gegenseite die Brovodnizas, die die Tür mit Ellbogen und Fäusten verteidigen und versuchen, möglichst wenige Menschen ohne Fahrkarte in den Zug schlüpfen zu lassen.

 

Brovodnitzas sind übrigens die mal mehr, mal weniger netten Zugbegleiterinnen, die jeweils für einen Waggon zuständig sind. Man sollte sich mit Ihnen nicht anlegen!

Wie man sieht, verstanden wir uns aber doch ganz gut.

 

Unsere "Wohnung" war für diese Zeit ein 4 m² großes Abteil mit 2 Betten, einem Tischchen und einer Gepäckablage - man gewöhnt sich daran.

Zum Einsteigevorgang gehört dazu, dass fast alle Reisenden, egal ob Tourist oder Russe, nach der Einnahme der Plätze ihre Jogginganzüge anzogen, welche auch für die Dauer der Reise nicht mehr gewechselt wurden.
Nun begann das Erlebnis "Transsibirische Eisenbahn"

Der Zug zwang sich durch die Vorstadt. Vorbei an verfallenen Fabriken und Mietshäuser, leer stehenden Wohnungen mit eingeschlagenen Fensterscheiben und Mühlplätzen nebenan. Dann tauchten die ersten Gärten auf, verschwanden die Vorstadt-Haltepunkte, auf denen Menschen, vom Leben gezeichnete Gesichter, ruhig umherliefen. Moskau verschwamm.

Der Zug ratterte. Ich saß am Fenster und ließ die Landschaft an mir vorbeiziehen. Meine Gedanken hingen an der Vergangenheit, rissen sich um ein Bild der Zukunft. Jaroslaw, Kirov, Perm die Gleise schwangen sich durch die Vorläufer des Uralgebirges.

Der Ural selbst, erstreckt sich über 2500 km von Norden nach Süden, beginnend in der kalten Tundra, endet er in der schwülen Hitze der Wüstensteppe.

Was wird hinter ihm kommen? Noch zu Zeiten des Zaren im 19. Jahrhundert glaubten viele Menschen, dort sei das Ende der Welt gekommen. Und ein wenig saß auch uns, den Fahrgästen, die Spannung, vermischt mit Aufregung in den Köpfen.

 

Am 2. Tag überquerten wir die Kontinentalgrenze nach Asien.

Km 1777, ein weißer Obelisk ragt zur rechten Seite Moskauer Sicht empor – das ist sie nun, die Grenze zwischen Europa und Asien. Danach ging´s tagelang durch die Weiten Sibiriens, vorbei an atemberaubenden Landschaften, Wäldern, Seen, verlassenen Fabrikgeländen, kleinen Ortschaften oder einzelnen windschiefen Bauernhäusern mit bunten Fensterläden.

Die aufregendsten Abwechslungen waren jedoch die Aufenthalte in den Bahnhöfen, die zwischen zwei und zwanzig Minuten dauerten. Dort warteten bereits die Bäuerinnen der Region auf die Einfahrt des Zuges. Sie boten den Reisenden eine große Auswahl an diversen Speisen an. Direkt vom Bahnsteig konnte man den Bedarf an Fleisch, getrockneten Fisch, Kuchen, Bier, Milchprodukte wie Joghurt oder Buttermilch und Sonnenblumenkerne für die nächste Etappe der Fahrt kaufen. Die russischen Fahrgäste nahmen diese Angebote auch gerne an. Selbst hätte ich ebenfalls gerne mehr bei diesen alten Frauen gekauft, da jede einzelne von ihnen so sympathisch aussah und man das Gefühl hatte, damit sogar geholfen zu haben. Doch war unsere Verpflegung so gut, dasss man nichts weiteres mehr essen konnte.

Für mich war auch die Tatsache interessant jeden Tag eine oder zwei Zeitzonen zu durchfahren, wobei im Zug immer Moskauer Zeit galt. Das hatte zur Folge, dass es laut Uhr halt irgendwann nachmittags gegen 15.00 Uhr Nacht wurde. Wie gewaltig die Strecke ist, fiel dann wieder richtig auf, wenn man den Bahnhof, den man gerade passierte, auf der Landkarte suchte und sah, dass man sich immer mehr dem Pazifik näherte. Nach so vielen Kilometern gewöhnt man sich an so vieles im Zug. Man gewöhnt sich daran, dass die Toiletten vor der Einfahrt in einen Bahnhof gesperrt werden, man gewöhnt sich auch daran, dass es eigentlich keine richtige Waschgelegenheit gibt. Und vorallem gewöhnt man sich an die Menschen, die tagelang mit uns reisten, egal ob man sie versteht oder nicht.

Man schaute auf die dahinziehende Taiga. Die Taiga war viel abwechslungsreicher als ich mir das vorstellte. Sicher habe ich noch nie so viele Birken gesehen wie auf dieser Reise, aber die Wälder wurden ständig durch freie Flächen, Städte oder Dörfer und Sumpfgebiete unterbrochen. Die Taiga besteht übrigens auch nur an den Rändern, dort wo Licht an die Wälder kommt, aus Birken. Der Hauptbaumbestand sind Nadelhölzer. Ganze Berge strahlten dadurch in diesem wunderbaren Gelb. Genauso abwechslungsreich, wie die Taiga selbst, ist die Tierwelt in ihr. Es leben dort Tiere, die wir nur noch aus Büchern oder dem Fernsehen kennen. In den Wäldern leben dort zum Beispiel Braunbären, Dachse, Füchse und die sibirischen Tiger. Wölfe gibt es massenweise, so dass diese zum freien Abschuss stehen.

Langweile ?

Kaum zu glauben, aber es war nie wirklich langweilig!

Schließlich waren wir auch nicht allein im Zug, sondern hatten beste Gesellschaft!
Der Großteil der Mitreisenden waren allerdings Russen, Chinesen und Mongolen, mit welchen sich die Verständigung recht schwierig gestaltete (was nicht heißen soll, dass wir es nicht getan haben). Etwas besser klappte es hingegen mit den paar Europäern, die sich außer uns noch hierher "verirrt" hatten.

Doch der eigentliche Höhepunkt der sibirischen Natur ist der Baikalsee, ein See mit beeindruckenden Ausmaßen. Der Baikal ist 630 km lang, zwischen 35 und 65 km breit und vorallem 1,6 km tief. Im Norden ist er, zwischen Ende September und Anfang Juli, 9 Monate zugefroren. Im Süden ist er "nur" zwischen Januar und März vereist. Da sich an die Ufer des Sees Berge anschließen betrachtet man den See fast immer vom oben, wodurch der Baikal immer gigantisch aussieht. Richtigen Respekt bekommt man vom Baikal, wenn man weiß, daß er die in ihm ertrunkenen Menschen für immer verschwinden läßt. Winzige Krebse filtrieren das Wasser des Sees unentwegt. Sie sind in der Lage einen Menschen innerhalb von 48 Stunden restlos zu zersetzen. Das zurückbleibende Skelett wird nach der Dauer von 2 Wochen aufgelöst, da das Wasser des Baikals praktisch kein Kalk enthält, aber das Kalk der Knochen löst.

Der Baikal, Sibiriens blaues Wunder, ist ein See der Superlative: Mit seiner enormen Tiefe ist er der tiefste See der Welt. Kein See ist älter und keiner hat mehr Wasser als er. Liefe der Baikal aus, würde das gesamte Festland der Erde - rein rechnerisch - 20 Zentimeter hoch überschwemmt werden. Mehr als 330 Flüsse speisen den See, der mit einer Fläche von 31.500 Quadratkilometern fast 60 Mal größer ist als der Bodensee.

Der Zug passierte Flüsse und kahle Felsen, nur wenige Kilometer ist die Grenze zu China entfernt. Wo man bei gutem Wetter entlang der Bergkette die russischen Wachtürme erkennen kann.

Verarmte Stationen, auf denen die Einwohner nahe gelegener Dörfer ihre Waren, den kurzzeitig aussteigenden Reisenden feil boten, säumten den Schienenstrang. Ich dachte an die Menschen, deren Schweiß in der Bahnstrecke begraben liegt. Wie viele haben beim Bau ihr Leben verloren, wie viele wurden von den schweren Rädern eines Zuges, noch im Sprung von den Gleisen, aus ihrem Leben gerissen? Menschenschicksale. Verbannte, unloyal gegenüber den Herrschenden des Landes, Verarmte, deren letzte Hoffnung der Bahnbau war, Arbeit und Brot zu finden. Doch alles das ist nichts gegen ihren unbändigen Willen zum Leben und den Stolz auf ihre Hände Arbeit, der sich den Menschen dieses Reiches Russlands in ihrem Handeln ausdrückt.

Nach 7 Tagen sind wir endlich am Ziel angekommen.

Dabei umrundeten wir etwa ein Drittel der Erde und durchquerten 7 Zeitzonen. Die Fahrt hat uns unvergeßliche und einzigartige Momente beschert und war eine einmalige Chance, das echte und wahre Russland, seine Menschen und ihre Kultur kennenzulernen.